Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten

Menschen halten Schilder mit Schriftzug "Demokratie"
Demokratie und die Achtung von universellen Grund- und Menschenrechten sind keine Selbstverständlichkeit. Das zeigen rechte Morde, weit verbreitete rechtsextreme Einstellungen und die Beliebtheit von gefährlichen Verschwörungstheorien. Doch wir sind nicht machtlos: Staat und Zivilgesellschaft sind gefordert, jeden Tag unsere demokratischen Werte zu verteidigen. Diskutieren Sie mit, wie uns das gelingen kann.

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nessar Hashemi, Mercedes K., Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Gabriele Rathjen, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov sind die Namen der Opfer des rechtsterroristischen Attentats in Hanau 2020. Zehn Menschen haben an einem Abend ihr Leben verloren. Damit sind es nach Zählung der Amadeu Antonio Stiftung seit der Wiedervereinigung schon 213 Menschen die durch rechte Gewalt getötet wurden. Diese Morde zeigen das schlimmste Ausmaß, das Rassismus mitten in Deutschland annimmt. Um an die Toten zu erinnern, fordert ein Teilnehmer am Zukunftsdialog auf Twitter mehr Mahnmale für die Opfer rechter Gewalt.

Politisch motivierte Kriminalität steigt

Ein Blick in die Statistik weist auch einen generellen Anstieg von sogenannter politisch motivierter Kriminalität in Deutschland während der letzten zehn Jahren nach: Verzeichnete das Bundesinnenministerium 2010 noch rund 27.000 politisch motivierte Straftaten, ist die Zahl 2019 –  auch aufgrund von Änderungen im Strafgesetzbuch und einer besseren Erfassung – auf fast 42.000 geklettert. Insgesamt waren davon über 22.300 rechts motiviert. Mehr als 2.000 hatten einen antisemitischen Hintergrund und fast ein Tausend einen islamfeindlichen. Sind Sie selbst schon Opfer von politisch motivierter Kriminalität geworden oder haben sie beobachtet? Was muss dagegen getan werden? Schildern Sie uns Ihre Sicht unten in den Kommentaren.

 313 Tote durch rechte Gewalt

Rechtsextreme Einstellungen weit verbreitet

Hinter den Taten stecken gefährliche Einstellungen, die unser demokratisches Wertefundament wie der Anerkennung der Grund- und Menschenrechte für alle Menschen angreifen. Die Leipziger Autoritarismus-Studie liefert hierzu repräsentative Zahlen für die Bevölkerung in Deutschland:

  • Sozialdarwinismus und Ausländerfeindlichkeit: Rund jede/r Zehnte stimmt der Aussage zu, dass Deutsche "anderen Völkern von Natur aus überlegen" wären. Rund ein Drittel sind überzeugt: "Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen."
  • Muslimfeindlichkeit: Fast ein Drittel will, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt wird.
  • Antisemitismus: Über 10 Prozent der Bevölkerung unterstützt die Aussage, dass "der Einfluss der Juden" auch heute noch zu groß sei.
  • NS-Ideologie: Fast 9 Prozent der Bevölkerung findet: "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert."

Gibt es Unterschiede bei diesen Ergebnissen nach Alter oder im Ost-/West-Vergleich? Laut Leipziger Studie jein: So unterscheiden sich die Einstellungen der über 60-Jährigen in den sogenannten alten Bundesländern nicht von denen der Gleichaltrigen in Ostdeutschland. Ganz anders sieht es in der mittleren Altersgruppe der 31- bis 60-Jährigen aus: Hier gibt es beträchtliche Differenzen. Dabei lassen die ostdeutschen Werte stets auf stärkere rechtsextreme Einstellungen schließen. "Dieser Befund zeigt dringenden Handlungsbedarf in der politischen Bildungsarbeit im Jugend- und Erwachsenenalter in Ostdeutschland an", so die Autor/innen der Studie.

Politische Bildung stärken für eine starke Demokratie

Um die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auszubauen und antidemokratischen Kräften in ganz Deutschland entgegenzuwirken, sollten sich möglichst viele Menschen politisch weiterbilden können, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund. Ein länderübergreifendes, bundeseinheitliches Recht auf Bildungsfreistellung und die finanzielle Förderung der politischen Bildung sind hierfür wichtige Schritte. Schließlich ist Demokratie die einzige Herrschaftsform, die jeden Tag gelernt werden und gegen diejenigen verteidigt werden muss, die sie diskreditieren und abschaffen wollen. Haben Sie schon Angebote der politischen Bildung genutzt? Was braucht es sonst noch, um demokratische Werte zu vermitteln? Schreiben Sie uns in den Kommentaren.

DGB und Gewerkschaften in Bündnissen für Demokratie aktiv: Beispiel #unteilbar

Verschwörungstheorien setzen Demokratie unter Druck

Neben gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, politisch motivierter Kriminalität und niedriger Wahlbeteiligung setzt die Corona-Krise unsere Demokratie zusätzlich unter Druck. Es kommt zu toxischen Allianzen zwischen Verschwörungstheoretiker/innen und Rechtspopulist/innen. In der Erwerbspersonen-Befragung der Hans-Böckler-Stiftung konnten sich über 40 Prozent der Befragten vorstellen, dass die Corona-Pandemie "von Eliten benutzt wird, um die Interessen der Reichen und Mächtigen durchzusetzen". Dabei ist der Glaube an Verschwörungstheorien kein neues Phänomen. Eine repräsentative Umfrage, die im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung zwischen Oktober 2019 und Februar 2020 durchgeführt wurde, zeigt: Schon vor Pandemie-Ausbruch glaubten 11 Prozent der Deutschen an eine geheime Weltverschwörung und weitere 19 Prozent hielten sie für wahrscheinlich.

 Konrad-Adenauer-Stiftung 2020

Investitionen stärken Demokratie

Aber die entschiedenen Maßnahmen der Regierung, um die Folgen der Corona-Krise abzumildern, scheinen auch positive Effekte auf unsere Demokratie zu haben. So sind laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung fast zwei Drittel der Deutschen derzeit eher bis voll und ganz zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie. Damit hat sich der Wert im Vergleich zu 2018/19 sogar um bis zu 10 Prozentpunkte verbessert. Auch die Bewertung der Regierungsarbeit ist im Verlauf der Pandemie gestiegen.

Das bestärkt die Überzeugung des Deutschen Gewerkschaftsbunds, dass ein handlungsfähiger und aktiver Staat die Demokratie festigt. "Der Staat muss in den kommenden Jahren in die öffentliche Daseinsvorsorge investieren, Gehälter anheben und mehr Personal einstellen – in den Kliniken, im öffentlichen Personennahverkehr und dem Bildungssektor, beim Bau von Straßen, Schienen und Kanälen", fordert DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann. Ergänzt durch Mitbestimmung im Alltag und am Arbeitsplatz sowie einem entschlossenen Kampf gegen anti-demokratische und menschenfeindliche Einstellungen können Staat und jede/r Einzelne in der Gesellschaft so gemeinsam unsere Demokratie schützen. Für diesen Kampf fordert der DGB endlich die Verabschiedung des Demokratiefördergesetzes: Das könnte Demokratie-Projekte, die sich von Projektzeitraum zu Projektzeitraum hangeln müssen, endlich in stabile Strukturen überführen. Was muss aus Ihrer Sicht getan werden für eine starke Demokratie? Gibt es bei Ihnen wichtige Baustellen, wo Investitionen fehlen? Oder kennen Sie tolle Beispiele, die Demokratie stärken? Schreiben Sie uns in den Kommentaren.

Mehr zum Thema erfahren

>> Faktenblatt: Geblendet von Verschwörungstheorien

>> Faktenblatt: Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken

>> Faktenblatt: Politische Bildung und Demokratie

>> Gegenblende-Interview mit Autoren der Leipziger Autoritarismus-Studie

>> Schwerpunkt: Mit Investitionen Zukunft gestalten – Demokratie erhalten

Bildergalerie (3)

Kommentare

Ich trat nicht aus Geldmangel aus der Gewerkschft aus, sondern aus Enttäuschung.
Ich vermisse eine Kontrolle der Basis für die Oberen. "Kollege" Hoffmann vertritt sich und nicht die vielen Mitglieder, die zwölf Monate vor Hartz-IV sind. Er warb ohne Mandat für die Große Koalition auf dem SPD-Parteitag. Er warb für die SPD als Juniorpartner einer starken
CDU, für eine SPD, die unseren ersten Angriffskrieg 1999 völkerrechts- und grundgesetzwidrig startete, die das Elend mit Hartz-IV schuf,
mit der Riesterrente die gesetzliche Altersrente schwächte usw. usw.
Was richtet Herr Heil aus? Jetzt bringt er ein paar Korrekturen der verfehlten SPD-Politik und weiß genau, die CDU sagt nein. Auch er ist Teil der Spaßtruppe in Berlin.
Warum gibt es keine Kontrolle in den Gewerkschaften für die "Hoffmänner"?
Wo war der gewerkschaftliche Widerstand gegen die Verelendung unseres Volkes?
Kollegiale Grüße
Willi M. [an dieser Stelle wurden von der Moderation personenbezogene Daten entfernt]

LIebe Kolleginnen und Kollegen,

offenbar ist an euch der GBV - Beschluss zur gesetzlichen Verankerung der Seniorenmitwirkung völlig vorbei gegangen -- sende es euch mit gesonderter interner Mail --warum ist das ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie ?

In den meisten Bundesländern fehlt es an gesetzlichen Regelungen zur Mitwirkung von Senioren und Seniorinnen - was aber notwendig ist , da die politischen Interessen an altersgerechten Regelungen leider untergehen - z.B. wird der ÖPNV fast immer an den Älteren vorbei geplant - es beginnt mit dem Geltungsbeginn von Seniorentickets --auch Ältere müssen leider morgens vor 9 Uhr zum Arzt oder die Enkel in die Schule oder die Kita bringen - bis hin zu einem Abendverkehr des ÖPNV -in meiner Heimatstadt endet der Strassenbahnverkehr um 21 Uhr --es ibt noch viele andere Probleme , die ihr in den DGB - Eckpunkten zur Seniorenpolitik nfinden köönt - oder in dem genanten GBV - Beschluss .

Würde mich freuen, wenn Ihr die Senioreninteressen stärker berücksichtigt - im übrigen auch ein Mittel um ein Abdriften nach rechts zu verhindern.

Klaus Beck
Bundesseniorenbeauftragter des DGB

Die bisherige bildungsfreistellung fördert doch nur soziale Disparitäten! Man sollte mal eine Einkommensverteilungsstatistik der Begünstigten durchführen,,dann wird man schnell feststellen,dass vor allem Besserverdiener diese Freistellung wahrnehmen! Das sind typische Leistungen für Gutverdiener, die fahren dann z.b. um sich die Abfallentsorgung auf la gomera anzusehen und ähnliches,während Mittelverdiener und Geringverdiener kein Geld dafür haben. Wer hat,dem wird gegeben. Vielleicht wäre es besser, bis zu mittleren Einkommen bildungsreisen zu finanzieren oder zu bezuschussen,damit nicht nur Reiche das nutzen können?! Ich habe eine lange erwerbsbiographie ,mal gut ,mal schlecht verdient, konnte das nie nutzen. Macht mal eine Statistik, wer das nutzt, wohlhabende Doppelverdiener Haushalte und Akademiker vor allem. Und für Abendschule Abitur und Studium nur nach Kulanz des Arbeitgebers ! Normalerweise fällt ausgerechnet sowas nicht als Regelfall unter bildungsfreistellung, da das keine eingetragenen Kurse sind!

Es wäre schön, wenn die demokratischen Grundwerte besser vermittelt würden - und zwar ganz konkret. Das könnte dabei helfen, mehr Respekt vor der Demokratie zu entwickeln. Welche Werte sind demokratisch und welche nicht? Wie wird Rechtsextremismus eigentlich definiert?
Die konkrete Gegenüberstellung demokratischer Werte und rechtsextremer Wertvorstellungen gehört in die politische Bildungsarbeit.
Und nicht zuletzt sollte der Umgang mit den Medien/der Presse erlernt werden ( z.B. die Unterscheidung von Meinung und Fakten ).
Aber noch zielführender könnte die Frage "welche Erkenntnisse haben Menschen, die mit Aussteigern aus der rechtsextremen Szene gearbeitet haben?" sein.

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